Martina Kubelk, untitled, polaroid 10,5 x 10,5 cm, 1988-1995, Courtesy Delmes & Zander / Galerie Susanne Zander |
HERZLICHE EINLADUNG
zum Vortrag von Philipp do Brito (M.A.):
"Martina Kubelk - A Life in Days"
Freitag 7. Februar um 19Uhr
„To be free one must give up a little part of oneself“, so beschreibt die Rock 'n' Roll-Drag-Queen Hedwig alias Hänsel im gleichnamigen Off-Broadway Musical „Hedwig and the Angry Inch“ die eigene Verwandlung in ihr geschlechtliches Alter Ego. Eine identitäre Verwandlung, die – ohne, dass die beiden sich jemals begegneten – auch für Martina Kubelk zutrifft und deren wörtlich zu interpretierende „little parts“ sie in ihrem im Geheimen geschaffenen Fotoalbum auf beinahe 400 Polaroids zusammengetragen hat.
99 Seiten gefüllt mit jeweils vier Sofortbildaufnahmen zentriert um eine Datumsangabe, die klein und markant aus einem geprägten Plastikstreifen auf beinahe jeder Seite hervortritt und das Gesehene datiert. Abgebildet ist immer SIE - Martina Kubelk. Eine fiktive, ja inszenierte Identität, die ähnlich dem Aufbau des Fotoalbums aus vielen einzelnen Facetten zusammengesetzt scheint. Martina sammelt diese Fragmente ihrer selbst, gruppiert sie und fügt sie in zeitlich legitimierte Sinnzusammenhänge, deren Datumsaufkleber an die reduzierte Ästhetik der konzeptuellen Werke On Kawaras erinnern und das Gezeigte mit Momenten außerhalb der fotografischen Realität verschränken.
Realität trifft Archiv und Martina steht dazwischen. Angeordnet in seriell wirkenden Gruppierungen mit immer wieder neuen Variationen von Kleidung, Pose und vor wechselndem Interieur. Ihre Inszenierungen vor der Polaroidkamera scheinen wie sie selbst vieles zu sein und werden durch die Transformation des Körpers erst wirksam. Kleidung und Perücke, selbst Schminke alles steht im Dienst der einen Identität - MARTINA. Sie ist sexy, festlich, chic oder markant mit einem Gesicht wie die späte Diana Vreeland wird sie zu Model und Editorin ihrer selbst und bettet sich in die Riege künstlerischer Untersuchungen von Gender, Sexualität und performativer Identität. Die frühen fotografischen Selbstbefragungen einer Claude Cahun, surreale Obsessionen Pierre Moliniers, die Performance eines Jürgen Klauke, Cindy Shermans Rollenspiele bis hin zu Yasumasa Morimuras kunsthistorischen Reflexionen über Portrait wie Pose – mit allen scheint sie in unbewusster, bildlicher Analogie. Martina selbst wirkt beinahe wie ein Archiv, ein Anachronismus, der sich kontrastierend zu den zentrierten Datumsangaben ihrer travestierten Serien verhält. Zeit ist für sie kein Hindernis, keine Grenze und so hintergeht sie die eigenen Datierungen ihrer Selbstportraits mit Beginn im Januar 1988, reist modisch zurück zu den farbenfrohen 60’s und 70’s und verschränkt Vorstellung mit Wirklichkeit – immer in Verfolgung des Bildes der einen, eigenen Identität. Einer Identität, die glaubhaft gemacht werden muss und derer sie sich in der Augenblicklichkeit ihrer Polaroids stets neu versichert. Martina existiert, ihr Leben liegt vor uns inszeniert an Körper wie Interieur. Ein Leben wie eine Chronik, durch Album und Aufnahme. Ein Leben in Monaten und Tagen.
Philipp do Brito
Der Vortrag wird in deutscher Sprache gehalten.
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