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Günter K. "Margret - Chronik einer Affäre", Vintage Print, 1970/08/21 -
1970/08/31, 13 cm x 9 cm, Courtesy Delmes & Zander / Galerie Susanne
Zander |
Jerry Saltz auf monopol-magazin.de über die Independent Art Fair (12.03.2014):
Sklaven der Liebe: Am Stand der Kölner Galerie Susanne Zander auf der Independent
Man sagt, dass alle Lieder Liebeslieder sind. Wenn das stimmt, dann geht es vielleicht in allen Geschichten von Obsessionen immer um Liebe und Verhängnis, in der „Erziehung der Gefühle“ ebenso wie in „Lolita“, im „Sattelclub“ wie in „Moby Dick“. Ich habe gleich drei wunderbare fotografische Obsessionserzählungen am Stand der Susanne Zander Galerie auf der Independent gesehen, einer der drei Kunstmessen, auf denen ich letzte Woche war.
Die Storys fand ich in einer kompakten Vier-Personen-Ausstellung namens „Unbekannter Künstler“, in der ausschließlich Werke von anonymen Machern gezeigt wurden. Während ich mich in die Geschichten ziehen ließ und ihrem unwiderstehlichen Zauber erlag, fiel mir Velvet Undergrounds „Some Kind of Love“ ein: "No kinds of love are better than others – keine Art von Liebe ist besser als eine andere". Unabhängig von den jeweiligen anonymen Schöpfern, egal, welche Motive oder Zwangsvorstellungen sie umtrieben – in der ausgestellten Kunst erkannte man durchweg heftiges Begehren und raffiniert ausgearbeitete Fantasien, sie war von Pathos und innerer Spannung durchdrungen, wirkte manchmal ein wenig mitleiderregend, aber zugleich unglaublich feierlich.
Als erstes bemerkte ich eine Auswahl von acht Bildern, die aus einer unglaublichen Sammlung von insgesamt 380 kleinformatigen Farbfotografien, meist Polaroids, stammen, die man in einem Koffer in Deutschland entdeckt hat. Über die Fotos weiß man nur, dass sie zwischen Januar 1988 und Juli 1995 von einem Hamburger Crossdresser, der sich Martina Kubelk nannte, aufgenommen wurden. Sie zeigen Martina stets allein zu Hause, im Wohnzimmer, in der Küche, in ihrem Boudoir. Auf vier der Bildern sieht sie aus wie eine ungefähr 50-jährige, eher biedere Hausfrau. Sie trägt Omakleider, Pullis, Röcke, schwarze Mikrofaser-Nylons. Alles nicht gerade sexy.
Sie posiert recht verhalten, weder sensationalistisch noch exhibitionistisch, sie trägt billige Perücken und unmodische Brillen, hat einen Timer in der Hand und schaut direkt in die Kamera. Man sieht deutlich, dass ihr Kopf ziemlich groß geraten ist und ihr Gesicht wirkt beinahe anorektisch. Dadurch bekommt die Bildserie eine seltsame Dynamik, sie wird zum Tanz zwischen Fantasie, Liebe, Schmerz und Absurdität. Auf einer der Aufnahmen sieht man Martina in einer geblümten Seidenbluse, einem aquablauen Rock und weißen Pumps.
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Courtesy Delmes & Zander / Galerie Susanne Zander |
Die Bilder, die man im Hintergrund erkennt, sind anscheinend Familienfotos. Vor unseren Augen entfaltet sich ein Leben, von dem die Leute auf den Familienbildern vermutlich keine Ahnung haben, ein rätselhafter Bruch in einem ansonsten gläsernen Leben. Denn nun erscheint hinter dieser Person, die man im Supermarkt oder an der Bushaltstelle nicht weiter bemerken würde, eine Art Mrs. Hyde-Seite: Einige Aufnahmen zeigen sie in schwarzem BH und Höschen, in Strapsen und Latexwäsche.
Die Bilder wirken weder schmutzig noch pervers. Sie zeigen eine gewisse Sehnsucht, einen Ausdruck, jemanden, der sich neugierig entdeckt. Ein bisschen wie Teenagerinnen auf Online-Schnappschüssen, die in Alltagskleidung posieren, einfach weil sie wissen wollen, wie sie aussehen. Wir beobachten Martina dabei, wie sie sich betrachtet, um zu erfahren, wie jemand sie sieht, der sie so begehrt, wie sie ist. Die einzige Perversion, die man hier erkennen könnte, besteht in dem Druck, unter dem Leute stehen, die sich nicht so kleiden dürfen, wie sie wollen. Vielleicht fotografiert sich Martina deswegen nur in streng privaten Räumen. Von der Komposition und Psychologie her wirkt das, als filtere man Cindy Sherman und ihre vielen Identitäten durch Malick Sidibé, den Fotografen aus Mali, der seine Bekannten vor vorgefertigten, tragbaren Hintergründen posieren ließ, und Morton Bartlett, der zwischen 1936 und 1963 anatomisch korrekte Puppen von pubertierenden Mädchen herstellte und diese in Ballerinas und Shirley-Temple-Posen fotografierte.
Wo man nun schon ein wenig in die dunkle Ecke des Begehrens geblickt hat, kann man sich auch noch tiefer ins Dunkel wagen: Zur Fotoauswahl eines Mannes nämlich, den man nur als Gunter K. kennt. Sie stammt aus einem Satz von 350 Bildern (eine Auswahl finden Sie
hier) aus den Jahren 1969 und 1970, in denen der damals 36-Jährige die Affäre mit seiner 24-jährigen Sekretärin dokumentiert. Wie bei Martina passiert auch hier nichts Sexuelles oder Anstößiges. Die Aufnahmen wirken weder pornografisch noch besonders verführerisch. Man befindet sich vielmehr in Gesellschaft von zwei Personen, die privat wie öffentlich in ihrer eigenen Welt isoliert sind. Die Bilder zeigen einen Ort, der jenseits der beiden nahezu leer scheint – wie uns die Welt eben manchmal vorkommt, wenn wir uns mitten in einer obsessiven Affäre befinden. Man sieht nur Margret, das Objekt von Gunters zwanghafter Faszination. Er fotografiert sie im Bett oder in Autos, beim Anziehen, Abwaschen, Rauchen, Schminken, vor touristischen Sehenswürdigkeiten, in Restaurants. Die Farben sind verwaschen, aus einer vergangenen Zeit; als Hintergrund sieht man eine Gebirgslandschaft, eine Straße, Hotels im Tudorstil.
Gunter taucht nur einmal in einer aufreizenden Aufnahme von Margret in Seidenwäsche und BH auf: Reflektiert vom Badezimmerspiegel, hinter ihr, aber schemenhaft überbelichtet im Kamerablitz. Ihr stets perfektes, rotblondes, sorgfältig toupiertes Haar, das schlichte weiße Kleid, die geblümten Morgenmäntel und ausdruckslosen Blicke bilden ein unglaubliches Gegenstück zur beinahe wissenschaftlichen Akribie, mit der er jede ihrer Bewegungen festhält. Das Gleichgewicht gerät allerdings ins Wanken, wenn man sich die von Gunter gesammelten Paraphernalien betrachtet. Er führte minutiös Buch über beinahe alles, was sie gemeinsam unternahmen und war offenbar von allem besessen, das sie berührte. Er bewahrte Schnipsel ihrer Fingernägel und Schamhaare auf, leere Packungen von Verhütungspillen und Hotelrechnungen.
Mit peinlicher Genauigkeit vermerkt er ihre Liebesakte, die Dauer, die Winkel der Penetrationen, wie er ihre Brüste umfasste, wie sie sich nach dem Sex wusch. Die Aufzeichnungen wirken jedoch nicht pornografisch sondern vielmehr wissenschaftlich. (Außerdem sind sie auf Deutsch.) Sie liefern nur die Fakten zum Schicksal, das die beiden Liebenden erwartet. Man erfährt nur, dass Margret schwanger wurde, eine Abtreibung hatte und dass danach die Affäre erlischt. Die letzten Eintragungen verzeichnen nur noch, wie sie sich im Bett fest umschlingen.
Darin liegt die Faszination dieser beiden unbekannten Künstler: In ihren vielschichtigen Fantasien eines abjekten, dämonischen Begehrens, voll psychosexueller Getriebenheit, Humor und einem quälenden Wissen um die Sklaverei der Liebe. Viele von uns finden Kunstmessen nervig und anstrengend. Allein letzte Woche gab es in New York ein halbes Dutzend solcher Events. Mir haben schon die drei gereicht, auf denen ich war. Natürlich geht es dabei vor allem um Geld und Netzwerkerei. Aber wenn man aufmerksam und offen bleibt, kann es einem dennoch passieren, dass man kalt erwischt wird, dass man plötzlich irgendwo eine tiefere Bedeutung erkennt.
Nach meinem Besuch der Independent war mir klar, dass man niemals irgendetwas ausschließen sollte, auch wenn man sich für besonders abgebrüht hält.
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Günter K. "Margret - Chronik einer Affäre", Vintage Print, 1970/08/21 - 1970/08/31, 9 x 13 cm, Courtesy Delmes & Zander / Galerie Susanne
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